Angesparte Opferentschädigungsrente unterfällt der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 SGB XII bei der Betreuervergütung

LG Mühlhausen, Beschluss vom 13.11.2013 – 1 T 121/13

Angesparte Opferentschädigungsrente unterfällt der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 SGB XII bei der Betreuervergütung.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Beschwerde des Verfahrenspflegers wird der Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 24.06.2013 – Az.: 4 XVII 230/11 – abgeändert.

Für die Tätigkeit als Betreuer für die Zeit vom 25.08.2011 bis zum 24.08.2012 wird dem ehemaligen Betreuer … nicht antragsgemäß eine Vergütung nach §§ 1908 i, 1836 BGB, § 5 Abs. 2 VBVG inklusive Umsatzsteuer (soweit umsatzsteuerpflichtig) in Höhe von 2.525,60 € aus der Staatskasse bewilligt.

Die darüber hinausgehenden Vergütungsanträge vom 03.04.2012, 04.06.2012 und 06.10.2012 werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
I.

1
Unter dem 03.04.2012, 04.06.2012 und unter dem 06.10.2012 beantragte der ehemalige Betreuer für den Zeitraum vom 25.08.2011 bis 24.08.2012 die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 3.124,00 €. Dabei gab der Betreuer an, dass die Betroffene über den Schonbetrag hinausgehendes Vermögen verfüge.

2
Hilfsweise beantragte der ehemalige Betreuer unter dem 30.10.2012 die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 2.525,60 € gegen die Staatskasse.

3
Mit Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 24.06.2013 setzte das Amtsgericht Mühlhausen antragsgemäß für den Zeitraum vom 25.08.2011 bis zum 24.08.2012 eine Vergütung in Höhe von 3.124,00 € gegen das Vermögen der Betroffenen fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Betroffene nicht mittellos im Sinne des SGB XII sei und daher ihr Vermögen zur Zahlung der Betreuervergütung einzusetzen habe. Nach der Rechtsprechung des BayObLG sei der über das Schonvermögen angesparte Betrag auch einzusetzen, wenn das Vermögen aus einer Opferentschädigungsrente angespart worden sei. Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2010 gehe nicht hervor, dass angespartes Vermögen nicht für die Betreuervergütung einzusetzen sei. Auch liege eine unbillige Härte im Sinne von § 90 SGB XII nicht vor, da die angemessene Lebensführung der Betroffenen nicht wesentlich erschwert werde.

4
Gegen diesen, dem Verfahrenspfleger nicht förmlich zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 24.06.2013 legte dieser mit Schriftsatz vom 03.07.2013 Beschwerde ein und berief sich zur Begründung auf seinen Schriftsatz vom 07.10.2012. Nach der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes dienten aus dem Opferentschädigungsgesetz angesparte Leistungen überwiegend immateriellen Zwecken, so dass der Vermögenseinsatz eine unbillige Härte für die Betroffene darstelle.

5
Der beteiligte Bezirksrevisor ist der Beschwerde mit Schreiben vom 30.07.2013 entgegengetreten und beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. In der in Bezug genommenen Stellungnahme vom 15.11.2012 wurde auf einen Beschluss des BayObLG vom 24.02.2005 verwiesen. Auch sei anhand der Betreuungs- bzw. Vergütungsakte nicht nachvollziehbar, ob die Ansparungen tatsächlich aus einer Rentenleistung nach dem Opferentschädigungsgesetz resultierten.

6
Das Amtsgericht hat der Beschwerde des Verfahrenspflegers nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Mühlhausen – Beschwerdekammer – zur Entscheidung vorgelegt.

II.

7
Die Beschwerde des Verfahrenspflegers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 24.06.2013 ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Auch überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 600,00 €, § 61 Abs. 1 FamFG.

8
Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich aus § 59 Abs. 1 FamFG. Nach dieser Vorschrift ist derjenige beschwerdeberechtigt, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Vorliegend wurde der Verfahrenspfleger ausdrücklich für das Vergütungsverfahren bestellt, damit dieser die Interessen der Betroffenen wahrnehmen kann.

9
In der Sache hat die Beschwerde auch insoweit Erfolg, als auf den gestellten Hilfsantrag ein Betrag von 2.525,60 € wegen Mittellosigkeit der Betreuten gegen die Staatskasse festzusetzen war.

10
Im Übrigen waren die Vergütungsanträge wegen der in § 5 Abs. 2 VBVG geregelten niedrigeren Stundensätze bei Mittellosigkeit teilweise zurückzuweisen.

11
Aufgrund der Ermittlungen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geht die Kammer davon aus, dass die Betroffene mittellos im Sinne der §§ 1808 i Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 1836 c und 1836 d ist. Zwar besitzt die Betroffene angespartes Vermögen über dem Schonbetrag von 2.600,00 €, dieses Vermögen ist jedoch nicht einzusetzen, da es aus einer Opferentschädigungsrente angespart worden ist.

12
Die Kammer folgt insoweit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG vom 27.05.2010, Az.: 5 C 7/09, zitiert nach juris), wonach der Einsatz angesparter Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz als Vermögen für einen sozialrechtlichen Bedarf nicht herangezogen werden kann, weil dies für den Hilfeempfänger eine Härte darstellen würde. Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten, in dem die Betroffene über Jahre hinweg die ihr aus dem Opferentschädigungsgesetz gewährte Grundrente angespart hat. Die Festsetzung der vom ehemaligen Betreuer begehrten Vergütung gegen das Vermögen der Betroffenen würde eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII darstellen.

13
Nach den Ermittlungen der Kammer steht fest, dass das über das Schonvermögen hinaus angesparte Geldvermögen aus der der Betroffenen gewährten Opferentschädigungsrente resultiert. Die Mutter hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 15.03.2013 mitgeteilt, dass das auf den Konten angesparte Vermögen ausschließlich aus der Opferentschädigungsrente, insbesondere aus einer Nachzahlung stammt.

14
Auch liegt ein Härtefall im Sinne des § 88 Abs. 3 SGB XII vor. Die Voraussetzungen, für die Anwendung der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 SGB XII liegen vor. Nach dieser Vorschrift darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Nach dem oben zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes kommt es für die Bestimmung des Vorliegens einer Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften zu einem dem Leitvorschriften des § 88 SGB (vorliegend § 88 SGB XII) nicht entsprechenden Ergebnis führen würde. Zwar darf allein aus der Herkunft des Vermögens nicht auf einen die Einsatzfreiheit begründeten Härtefall geschlossen werden, die Atypik kann sich jedoch aus der besonderen a-typischen Situation des Hilfesuchenden ergeben, wenn die Herkunft des Vermögens dieses so prägt, dass seine Verwertung eine Härte für den Betroffenen darstellt. Davon ist auszugehen, wenn der gesetzgeberische Grund für die Nichtberücksichtigung einer laufenden Zahlung eines Einkommens auch im Rahmen der Vermögensanrechnung durchgreift, weil das Vermögen den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist, wie die laufende Zahlung selbst.

15
Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung eine Vermögensfreistellung für angespartes Schmerzensgeld bejaht, deren Zweck der angemessene Ausgleich des zugefügten immateriellen Schadens und die Genugtuung für erlittenes Unrecht zu berücksichtigen ist. Aus ähnlichen Erwägungen hat dies die Rechtsprechung auch bei angespartem Erziehungsgeld und Blindengeld bejaht.

16
Nichts anderes kann nach Auffassung der Kammer für den vorliegenden Fall der angesparten Opferentschädigungsrente gelten, die einen immateriellen Ausgleich für das von der Betroffenen erlittene Unrecht darstellt.

17
Der zeitlich vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergangene Beschluss des BayObLG vom 24.02.2005 zum Aktenzeichen 3 Z BR 261/04 berücksichtigt nach Auffassung der Kammer nicht ausreichend den gesetzgeberischen Zweck der Zahlungen aus dem Opferentschädigungsgesetz, nämlich die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion der gezahlten Rente. Hinzukommt, dass sich die Entscheidung des BayObLG auch auf ältere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes stützt, wobei nach dem oben zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes davon auszugehen ist, dass dieses seine frühere Rechtsprechung aufgegeben hat.

18
Nach alledem ist die Betroffene mittellos im Sinne von § 1836 d BGB, so dass die beantragte Betreuervergütung gegen die Staatskasse festzusetzen war.

19
Allerdings war die Vergütung nur in Höhe des gestellten Hilfsantrages festzusetzen, da nach § 5 VBVG bei Mittellosigkeit des Betroffenen geringere Stundensätze gelten. Diese verringerte Vergütung hat der Betreuer in seinem Hilfsantrag vom 30.10.2012 mit 2.525,60 € beziffert. Der am Verfahren beteiligte Bezirksrevisor ist dieser Berechnung nicht entgegen getreten.

20
Nach alle dem war auf die Beschwerde des Verfahrenspflegers der angefochtene Beschluss im tenorierten Umfang abzuändern und die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 25 Abs. 2 GNotKG, da sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung des Betreuungsgerichts richtet und sie vom Verfahrenpfleger im Interesse des Betroffenen eingelegt worden ist.

22
Die Rechtsbeschwerde war nach § 70 Abs. 1 FamFG zuzulassen, da die streitgegenständliche Frage der Verwertbarkeit angesparten Schonvermögens aus dem Opferentschädigungsgesetz in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist.

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